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Mörderisches Milieu

Günther Nonnenmacher befasst sich für die FAZ mit der Anschlagsserie in Frankreichs Südwesten. Sein Kommentar vermischt in typisch konservatives – aus meiner in Tunesien lebenden Perspektive bin ich sogar versucht zu sagen typisch westlicher – Manier antimuslimische Positionen mit analytischen Schnellschüssen und kommt zu der Schlussfolgerung, dass es jetzt endlich genug sei mit diesem islamistischen Milieu.

“Unverkennbar haben die Taten ein Muster: einmal geht es gegen das Engagement der französischen Armee in Afghanistan (oder in Libyen), das andere Mal ist Antisemitismus das Motiv. […] Das alles weist auf (islamistischen) Terrorismus hin, und so sieht es inzwischen auch die Staatsanwaltschaft.”

So weit so gut. Die französischen Zeitungen, welche ich gelesen habe, erwähnen dieses Wissen der Staatsanwaltschaft zwar nicht, aber die FAZ wird es schon besser wissen. Oder? Dass die drei erschossenen Soldaten nordafrikanischen Ursprungs waren bzw von den französischen Antillen stammten, tant pis, die islamistischen Terroristen werden schon wissen warum sie sich nicht auf Français de souche (im Prinzip weiße, katholische Franzosen) konzentrieren.

Die Frage, welche sich noch zusätzlich stellt ist natürlich woher Herr Nonnenmacher eigentlich weiß, was die Motive des Täters – oder der Täter – sind. Auch hier scheint die FAZ besser informiert als die französischen Medien es sind. Während der Anschlag auf jüdische Schulkinder noch relativ offenkundig als Antisemitismus auf spekulativer Basis durchgehen mag, fragt man sich in Bezug auf den Mord der drei Soldaten worauf, wenn nicht auf einen reflexartigen Antimuslimismus, Nonnenmacher seine Motivtheorie eigentlich basiert.

Aber es geht ja weiter.

“Vor allem was den Antisemitismus angeht, hat es in den vergangenen Jahren eine traurige Kontinuität von Vorfällen gegeben, die von Friedhofsschändungen (auch im Süden Frankreichs) bis zu Quälereien jüdischer Schüler und Studenten reicht – von früheren, tödlichen Anschlägen nicht zu reden. Es ist an der Zeit, dass die Politik aufhört, solche Vorfälle zu verharmlosen und die Ermittlungsbehörden diesen Sumpf austrocknen. Denn auch wenn es um politisierte Einzeltäter gehen sollte, steht dahinter doch ein „Milieu“.”

Diesem Absatz kann ich natürlich so nur zustimmen. Vor allem wenn wir uns den Gedanken aneignen, dass Herr Nonnenmacher sich hier auf den omnipräsenten europäischen Rechtsextremismus bezieht der in Deutschland (NSU), Norwegen (Breivik) und Italien (Florenz) seine Kreise zieht. Ich befürchte bloß dass uns die FAZ in diesem Fall weismachen wollen würde, dass es sich hier um politisierte Einzeltäter handelt, von der Gesellschaft verstoßen, in ihrem Diskurs in keinster Weise dem gesellschaftlichen Rahmen verbunden und maximal von einigen wenigen Verbündeten unterstützt. Ein rechtsextremes Milieu von konservativen Politikern und Antiimmigrationsdemagogen aufgeheizt und mit einem gehörigen Gewaltpotential ausgestattet?

Schade, dass die FAZ als angebliche Qualitätszeitung ihren Herausgeber in ähnlich polemisierender Weise grundlos über ein angeblich gefährliches  islamistische Milieu herziehen lässt, wenn sie das gleiche nie für den gerade 2011/2012 viel mehr Opfer fordernden Rechtsextremismus zulassen würde. Die konservativen ideologischen Scheuklappen haben mal wieder ihre Wirkung getan.

PS: Während die französische Polizei einen sich selbst als Al-Qaida Mitglied bezeichnenden Franzosen algerischen Ursprungs in seinem Haus umstellt hat, will ich nur kurz klarstellen, dass ich zu diesem Text auch weiterhin stehe. Auch wenn die Spekulation der FAZ sich im Nachhinein als richtig erwiesen hat, so bleibt dennoch festzuhalten, dass sie kaum auf Fakten basiert war, der Tatsache, dass rechtsextreme Gewalt in Europa weit mehr Opfer verursacht als islamistischer Terror, widersprach und schließlich auf einem bedauernswerten reflexartigen Antimuslimismus aufbaute, den ich nur verdammen kann.